Gedenken zum Volkstrauertag mit starken Bezügen zu den aktuellen Gewaltakten in der Ukraine und in Israel / Deutsch-Französische Freundschaft als Vorbild für Frieden unter den Völkern

Sonntag, 19. November 2023

Im Gemeindehaus Linderhausen und auf dem Friedhof an der Oehde gedachten die Bürgerinnen und Bürger in Schwelm am Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewalt weltweit. Bemerkenswert waren beide Zusammenkünfte wegen der bedeutsamen Redebeiträge auch und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Gewaltakte.

Pfarrer i.R. Rainer Schumacher, der auf beiden Gedenken die zentrale Ansprache hielt, betonte, dass der Volkstrauertag nicht verstehbar sei ohne das Wissen um das 20. Jahrhundert und die deutsche Geschichte.

Er erinnerte an die Millionen Toten zweier Weltkriege und in diesem Jahr besonders an die Opfer von Antisemitismus. „Gedenken heißt Wissen, aber das allein bringt einen nicht zum Handeln“. Ihn mache die gegenwärtige Geschichtsvergessenheit sprachlos. Es sei offensichtlich, dass der russische Angriff auf die Ukraine und das Attentat auf israelische Dörfer aus demselben Ungeist wie der Holocaust kämen. Russland spräche der Ukraine das Existenzrecht ab, und die Hamas täte dies mit Israel, und das auf vernichtende Weise.

In der Ukraine und in Israel würde Demokratie gelebt. Schlimm sei die Erkenntnis, dass Diplomatie allein die Konflikte nicht regeln könne; es fehle an Gesprächsbereitschaft, stattdessen seien viele handelnde Kräfte ideologieverhangen. Es scheine, als gäbe es Player unter den Mächtigen, die den Frieden nicht wollten, nicht für die Ukraine, nicht für Israel und nicht für das Palästinensische Volk, das herumgeschoben würde.

Rainer Schumacher gestand ein, dass ihm, der in Friedenszeiten aufgewachsen sei, noch nie eine Rede zum Volkstrauertag so schwergefallen sei. Er habe lange überlegt, ob er den Politikwissenschaftler Herfried Münkler zitieren solle und habe sich dann dafür entschieden. Münkler sieht kein Ende des russischen Krieges, wenn dieser allein auf diplomatischem Wege herbeigeführt werden sollte und damit die eigentlichen Kriegsziele unterlaufe, also nicht wirklich dauerhaft befrieden würde; eher gelte es, die Ukraine dauerhaft in ihrem Kampf für Selbstbestimmung und Demokratie zu stärken.

Auf dem Linderhausen Gedenken hatte Dr. Ilona Kryl als Vorsitzende des Bürgervereins zuvor den Gast Ivan begrüßt, der 2022 u.a. mit seiner Frau aus der Ukraine geflohen war, „weil wir nicht wussten, kommen die Raketen auch zu uns?“ Er lebt nun in Deutschland, sei sehr dankbar und habe mit Blick auf zerstörte ukrainische Städte ein Hilfsprogramm für Waisenkinder ins Leben gerufen. Doch nicht nur Städte wurden zerstört, sondern auch das vormals friedliche Zusammenleben in Ivans Heimat im ukrainischen Donaudelta mit Russen, Bulgaren, Deutschen und anderen Nationalitäten: „Dieses Paradies gibt es nun nicht mehr“.  

Im Anschluss an die Kranzniederlegung schrieben die Besucher auf einer Leinwand Friedensbotschaften nieder mit einer Tinte, die aus Schrott, Wasser und ukrainischen Sonnenblumenkernen hergestellt worden war als Zeichen der gemeinsamen Hoffnung auf Frieden. Außerdem wurde ein Film der israelisch-kanadischen Sängerin Yael Deckelbaum gezeigt, die eine Initiative gegründet hat, in der sich in Israel Frauen – Juden, Araber, religiöse und weltliche -, zusammengefunden haben, um sich für den Frieden einzusetzen.

Im Rahmen des städtischen Gedenkens an der Oehde gestaltete, wie in den Jahren zuvor, ein Religionskurs des Märkischen Gymnasiums Schwelm das Gedenken der Stadt mit einem Beitrag mit, der das Denken und Fühlen junger Menschen ausdrückte. So sprachen sie über ihre Ängste, aber auch Hoffnungen und Forderungen, indem sie sich an einem Communiqué der Vereinten Nationen orientierten, in dem es heißt; „So wie Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen, so muss in den Köpfen der Menschen auch die Verteidigung des Friedens entstehen.“

Für die Schülerinnen und Schüler steht fest, dass der Volkstrauertag eine enge Verbindung zum Frieden besitzt, denn aus der Erinnerung an den Schrecken von Kriegen erwachse die Notwendigkeit, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen.

Die jungen Leute äußerten verschiedene Bitten, Ängste und Forderungen. So wiesen sie auf die Selbstzerstörung der Welt hin und die Vorherrschaft von Egoismus und Vorurteilen, Hass und Verblendung. Geld und Profit würden als wichtiger aufgefasst als der Frieden, die Menschheit jage falschen Idealen hinterher und lösche sich, in der Absicht, dem anderen zu schaden, irgendwann selbst aus.

Ohne Umschweife sprachen sie über ihre Ängste angesichts einer „Spirale der Gewalt“, des möglichen „Verlustes der Menschlichkeit“ und mit Blick auf „problematische Wahlergebnisse, die Angst machen und von denen man dachte, sie gehören der Vergangenheit an“.

Aber resignieren sei kein Weg. Und so forderten sie Frieden für die nächsten Generationen, nicht nur für sich selbst heute, „eine Zukunft, in der man keine Angst um seine Existenz haben muss“. Und sie hoffen auf Einsicht und Kompromiss und „dass die Verantwortungsträger*innen in Politik und Wirtschaft über ihren eigenen Schatten springen, falls dies notwendig ist“. Es gelte, am Volkstrauertag nicht nur zu trauern, sondern auch aktiv an einer Welt des Friedens und der Versöhnung zu arbeiten.

„Zwei Nationen, Deutschland und Frankreich, haben es geschafft, sich nach Jahren des Krieges und der Feindschaft in Freundschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Ich fürchte, dass diese Freundschaft gerade innerhalb der jungen Generation nicht mehr aktiv gelebt wird. Ich hoffe, dass diese Freundschaft gelebt wird und dass die Geschichte unserer beiden Länder zeigt, dass Freundschaft und Versöhnung möglich sind und zum Vorbild für andere werden können“, so Susanne Hamm als Lehrerin des Religionskurses.

Die Schülerinnen und Schüler, die bunte Papiertauben auf dem Ehrenfeld der ausländischen Kriegstoten niederlegten, beendeten ihren Beitrag mit einem Zitat Bertolt Brechts: „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Und wir wollen glauben, dass es möglich ist, in Frieden zu leben, wenn wir uns für ihn einsetzen!“

Seit Jahren begehen die Städtepartner aus Schwelm und Saint-Germain-en-Laye / Fourqueux den Volkstrauertag in beiden Städten gemeinsam. Auch jetzt sprachen Bürgermeister Stephan Langhard und sein Amtskollege Daniel Level wieder gemeinsam das Totengedenken, bevor Schwelms Stadtoberhaupt allen Besuchern für ihre Teilnahme dankte und ebenso dem Religionskurs des MGS und dem Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr unter Leitung von Rüdiger Leckebusch für die aktive Mitgestaltung.

Schwelm, den 19. November 2023